Purismus im Weinberg: Martin Gojer (Weingut Pranzegg) „Alles, Nur Keine Kompromisse“

Martin Gojer

Die Frage nach dem Wesentlichen stellt sich nicht nur im Rahmen der institutionellen Kapitalanlage. Ein Winzer, der mit einer sehr puristischen Philosophie sein Weingut betreibt, ist der Südtiroler Martin Gojer. Finden Sie im Folgenden gemeinsam mit uns viele Gemeinsamkeiten mit der Welt des puristischen Investierens.

Was haben besondere Weine anderen voraus? Manchmal ist es genau das, was sie nicht haben: Hilfsmittel, Schmeicheleien, Attitüden, Kompromisse. Das lehrt ein Besuch des Bozner Weinguts Pranzegg. Darüber, wie man gute Weine herstellt, sind Bücher geschrieben worden. Dutzende. Nein, hunderte. Praktische Handbücher, philosophische Abhandlungen, wissenschaftliche Studien, Lehrbücher. Ganze Bibliotheken könnte man damit füllen. Unterhält man sich mit dem jungen Winzer Martin Gojer vom Weingut Pranzegg am Kohlerer Berg oberhalb von Bozen, dann wird man das Gefühl nicht los, als kenne er viele dieser Bücher, als wisse er genau, was darin steht, als habe er sie studiert. Und man wird das Gefühl nicht los, als habe er irgendwann damit begonnen, hier eine Seite herauszureißen und dort eine, noch eine und noch eine und immer mehr, bis schließlich nichts von all der Lehrmeinung übrig geblieben ist, bis auf eine leere Hülle. Und eine Erkenntnis: Wein wird dann am besten, wenn der Kellermeister sich so weit wie irgend möglich zurückhält. „Unsere Aufgabe ist nur, die Traube zum Glas zu begleiten“, sagt Martin. Wobei das „nur“ durchaus ein paar Anführungszeichen verdient.

Trauben verkaufen? Langweilig!

 Wäre die Winzerphilosophie von Martin Gojer also eine Straße, würde sie kerzengerade vom Weinstock ins Glas führen. Ohne Abzweigungen, ohne Engstellen, ohne Schlenker, ohne Kurven, ohne Schnörkel. Weiß man dies, dann liegt das Weingut Pranzegg eigentlich an völlig falscher Stelle. Um es zu erreichen, muss man die schmale, unübersichtliche, kurvige Straße nach Kohlern nehmen und nach den ersten paar Kehren eine noch schmalere Zufahrt zum Hof. Dort begrüßen uns Martin Gojer und seine Lebensgefährtin Marion Untersulzner, die das Weingut gemeinsam führen. Martin kommt aus dem Weinberg, die den Hof umgeben, seine Hände sprechen von harter Arbeit, der Vollbart im Gesicht von Modebewusstsein oder vielleicht auch von Bequemlichkeit. Wer weiß. Wenn er erzählt, tut er dies konzentriert und überlegt und so verwundert es auch nicht, dass seine Geschichte am Anfang beginnt.1935 hat Martins Großmutter den Pranzegg-Hof gekauft, bis in die 1970er-Jahre wurde er als typischer Mischbetrieb geführt: mit Vieh, Äckern, Wald und Reben, die Trauben für den Verkauf abwarfen. Den Wein selbst auszubauen, ist auf Pranzegg lange keine Option. Das ändert sich zunächst auch nicht, als Martin den Hof übernimmt – 1997, gerade einmal 18-jährig. Er produziert weiter Trauben und verkauft diese. „Aber irgendwann war es mir zu langweilig, nur Trauben zu verkaufen“, erinnert sich Martin, „es gab keine Möglichkeit, mich zu entwickeln und zu entfalten“. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends stellt der Jungbauer deshalb einiges um: Reben werden neu angelegt, Wohnhaus und Keller renoviert und so die Voraussetzungen geschaffen, selbst ins Weingeschäft einzusteigen. „2009 haben wir dann den ersten Jahrgang eingekellert.“

Aus mehr wird immer weniger

Gestartet ist man damals mit einer Rebfläche von zwei Hektar, die Weingärten sind steil, sie müssen zum größten Teil händisch bewirtschaftet werden. Es fehlt also an so ziemlich allem, was eine industrielle Produktion bräuchte: Fläche, maschinelle Bearbeitung, Rationalisierung. Aber eine industrielle Produktion ist ohnehin nicht das, was Martin vorschwebt. Sie würde nicht zu seiner Einstellung passen, nicht zu seiner Lebensphilosophie, nicht zu seinem Wesen. Stattdessen geht der junge Winzer den steinigen Weg des Verzichts. Schon sein Vater hat weder Herbizide noch Dünger eingesetzt, „deshalb habe ich einen guten Boden übernommen“, so Gojer, der bald schon merkt, dass er auch auf bestimmte Pflanzenschutzmittel verzichten kann. „Man kriegt immer mehr Erfahrung, man hat immer mehr Mut und irgendwann weiß man: Man kann auch gänzlich ohne synthetische Mittel auskommen.“ Es sei ein Herantasten gewesen und als 2009 seine Tochter Caroline auf die Welt gekommen sei, habe es sich einfach nicht mehr richtig angefühlt, synthetische Pflanzenzschutzmittel zu spritzen. Martin stellt deshalb seinen Hof zunächst auf biologischen Anbau um, seit 2014 produziert er biologisch-dynamisch. Die Wirtschaftsweise passt am besten zu seinem Ansatz: Individualität wird in der biodynamischen Landwirtschaft groß geschrieben, jeder Betrieb einzeln betrachtet, die Kreisläufe werden klein gehalten, Boden und Pflanze als Einheit gesehen. „Wir lassen nicht nur weg, sondern geben auch ein paar natürliche Inputs dazu, die sich nicht zuletzt aus dem Kosmos, aus Gestirnen und Mond ableiten“, erklärt Martin. Und: „Das ist bei mir keine Glaubenssache, ich bin ein sehr pragmatischer Mensch: Ich hab’s ausprobiert und einfach gesehen, dass es funktioniert.“ Martin folgt also weder einem Glauben, noch einem Spleen, keinem Trend und auch nicht irgendeiner Marketingidee. Das wird spätestens dann klar, wenn man die Etiketten seiner Weinflaschen betrachtet: von „bio“ ist darauf nicht einmal die Rede. „Für uns ist die biodynamische Anbauweise kein Verkaufsargument“, bestätigt Martin, „wir haben nur einen einzigen Kunden, für den das überhaupt von Bedeutung ist“.

Individuell und kompromisslos

Seit den zaghaften ersten Schritten 2009 haben sich Martin, Marion und das Weingut Pranzegg also entwickelt – auch in der Größe. Heute bewirtschaften sie etwa vier Hektar Weingärten in Kampill rund um Pranzegg, in Signat, sowie in Unter – und Oberplatten auf dem Ritten. Pranzegg ist also immer noch ein kleines, ein überschaubares Weingut, das für Martin die ideale Größe hat. „Ich kann meinen Wein ausbauen, wie ich will, ich muss keine Kompromisse eingehen und mich nicht einmal dem Markt unterordnen“, sagt Martin. Genau das ist es, was die Grundlage von Martins Weinen bildet: Individualität und Kompromisslosigkeit. „Würde ich mir von anderen sagen lassen, wie ich meine Weine ausbauen soll, hätte ich auch weiter Trauben verkaufen können.“ Diese Kompromisslosigkeit geht so weit, dass Martin auch auf die Herkunftsbezeichnung verzichtet. Kein „DOC“ schmückt seine Flaschen und dafür nennt der Winzer auch gleich drei gute Gründe. Der erste ist die Erwartungshaltung bei den Konsumenten, die eine Herkunftsbezeichnung auslöse. Der zweite Grund ist ein persönlicher: Setze man auf eine Ursprungsbezeichnung, müsse man die Art, Wein zu machen, ändern, wenn man selbst irgendwo anders hin verpflanzt werde. „Ich bin aber überzeugt, dass man seine Grundhaltung nicht ändern darf. Die muss bleiben!“ Und den dritten Grund kennen wir schon: keine Kompromisse oder in diesem Fall wohl besser: keine Vorschriften.

Zurückhaltung, bitte!

Martins Weg in den Weingärten und im Keller ist übrigens nicht nur ein kompromissloser, sondern auch ein ebenso einfacher wie logischer. Die gerade Straße von der Rebe zum Glas, eben. Die Straße beginnt bei möglichst hochwertigen Trauben: „Wir verzichten bewusst auf jegliches Hilfsmittel, deshalb sind wir auf ein optimales Rohprodukt angewiesen.“ Dieses Rohprodukt wird eingekellert, danach können die Trauben in Ruhe gären und der Wein reifen. „Wir greifen nur ein, wenn es Probleme geben sollte, ansonsten ist unsere Aufgabe nur, den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen, den Wein abzufüllen und so in der Flasche einzuzementieren“, erklärt Martin. „Wir tun nichts anderes, als den Wein zu begleiten.“ Für diesen zurückhaltenden Ansatz nennt der Kompromisslos-Kellermeister auch einen guten Grund: „Der Wein entwickelt sich einfach besser ohne unser Zutun.“ Und auch auf Analysen verzichtet der junge Bozner Winzer bewusst und verlässt sich vielmehr auf seine Erfahrung.

„Meiner ist“, grinst Martin, „ein empirischer Zugang“.

Mit diesem „empirischen Zugang“ entstehen auf dem Weingut Pranzegg 20.000 bis 25.000 Flaschen besonderen Weins im Jahr. Zwei Drittel davon sind rote, ein Drittel weiße. Die weißen sind ein Gewürztraminer und zwei Sortenverschnitte, die sich auf ihre Herkunftslagen konzentrieren. So gibt es einen gemischten Satz namens „Caroline“ der Lage Kampill (also Pranzegg) sowie einen der Lage Oberplatten, der „Tonsur“ heißt. Die Trauben für letzteren wachsen auf 700 Metern Meereshöhe auf dem Ritten und haben deshalb völlig andere Eigenschaften und Eigenheiten, die Martin zu respektieren weiß. Im roten Sortiment hat das Weingut Pranzegg dagegen einen leichten Roten, den Lagrein „Laurenc“ und einen Vernatsch, den „Campill“. Eine Besonderheit bildet die Reihe „fuori serie“, die – wie die Bezeichnung schon vermuten lässt – kein Fixum darstellt, sondern von Jahr zu Jahr verschieden ist. „Jedes Jahr kommt da etwas anderes in die Flasche“, flachst der Kellermeister alias Winzer alias Verkäufer alias Vertriebsleiter von Pranzegg.

Empfehlungen sind die besten Verkaufsargumente

Kennt man Martin Gojers Philosophie, ist es auch kaum verwunderlich, dass er im Verkauf seiner Weine eigene Wege geht. Auch da sind ihm ausgetretene Pfade ebenso zuwider wie ein Verkauf über den Preis oder „irgend so einen Online-Sch…“. Stattdessen setzen Martin und Marion auf ein Netz persönlicher Kontakte und auf Mundwerbung. „Unseren Wein sollen Leute nicht trinken, weil eine Herkunft draufsteht, oder ,bio‘, sondern weil sie ihn von jemandem empfohlen bekommen, dem sie vertrauen“, erklärt Martin. Und genau so läuft auch der Verkauf: Noch aus seiner Zeit als Berater bei einer renommierten Weinbau-Beratungsfirma in Friaul kennt Martin namhafte Adressen in der europäischen Weinwelt. Und sie kennen ihn. „Die Empfehlung eines anderen Winzers ist immer noch das beste Verkaufsargument im Weinhandel“, weiß Martin. So hat das kleine Weingut mittlerweile ein Vertriebsnetz, über das nur rund 10 Prozent der Produktion in Südtirol abgesetzt werden und nur noch einmal 30 Prozent im restlichen italienischen Staatsgebiet. Sechs von zehn Flaschen gehen dagegen ins Ausland: nach Deutschland, Österreich und die Schweiz, selbstverständlich, aber auch nach Japan, England oder in die USA. Wenn man den Werdegang genauer ansieht, dann hat Pranzegg nicht nur einen anderen als den herkömmlichen, sondern den genau umgekehrten Weg im Verkauf eingeschlagen. Während normalerweise nämlich zunächst der heimische Markt beackert wird, um danach im Ausland zu landen, war es bei Martin Gojer und seinen Weinen genau das Gegenteil. Mittlerweile ist die Nachfrage nach Pranzegg-Weinen größer als das Angebot, was allein schon für den Südtiroler „Naturwein“ spricht. Vorsicht allerdings mit dieser Bezeichnung, denn auch mit ihr ist Martin nicht glücklich – wie wohl mit jeglichem Etikett, das man ihm und seinen Weinen zu verpassen versucht. Naturwein, so das einfache Argument, sei eine irreführende Bezeichnung, weil die Natur keinen Wein hervorbringe. „Wein ist eine Errungenschaft der Menschen, da fließt nicht nur Natur hinein, sondern auch eine gehörige Portion Kultur“, sagt Martin.

Von lebenden Weinen und Totgeburten

Und weil Wein- auch Trinkkultur ist, bleibt noch die Frage, was für Martin und Marion einen guten Wein ausmacht. Dass die beiden dafür bei den Ursprüngen ansetzen, passt nur ins Bild. Man merke einem Wein an, was mit den Trauben im Weinberg passiert sei: gestresste Trauben ergäben einen gestressten Wein. „Man schmeckt einfach, ob da nur an die Gewinnmaximierung gedacht worden ist oder ob eine bestimmte Ethik dahintersteckt, man schmeckt, ob es sich um gestyltes Produkt handelt oder um ein natürlich gewachsenes“, sind die beiden überzeugt. Und neben der philosophischen gibt’s – was Wunder – auch eine ebenso pragmatische wie einfache Antwort auf die Frage nach gutem oder schlechtem Wein: „Wenn man einen ersten großen Schluck trinkt und dann gemeinsam die ganze Flasche, dann müssen die Gespräche durch den Wein belebt werden. Ein guter Wein steigt einem nicht in den Kopf, man wird davon nicht betrunken und auch nicht müde“, sind sich Martin und Marion einig. Es gebe Weine, bei denen man schon nach einem ersten Schluck wisse: sie tun uns nicht gut. „Und dann gibt es Weine, da geht mit dem ersten Schluck eine ganze Welt auf“, fügt Martin hinzu: „Das ist der Unterschied zwischen lebenden Weinen und Totgeburten.“

 

Herzlichen Dank an Marion und Martin Gojer! Quelle: esemdemi (www.esemdemi.it); Autoren: Robert Wieser, Christian Rainer; Fotograf: Mike Krueger (www.kruegermike.com).